„Es besteht kein Anspruch auf völlige Stille“
„Musik wird als störend oft empfunden, derweil sie mit Geräusch verbunden“, schrieb der Dichter Wilhelm Busch. Und tatsächlich ist das häusliche Musizieren ein häufiger Streitfall vor Gericht. Wann und wie lange darf zuhause musiziert werden? Und dürfen Berufsmusiker länger üben als Hobbyspieler? Über diese Frage hat der Karlsruher Bundesgerichtshof (BGH) Ende letzten Jahres entschieden.
Dem mit Spannung erwarteten BGH-Urteil vorausgegangen war ein jahrelanger Streit zwischen Reihenhaus- Nachbarn in Augsburg. Der Beklagte ist Trompeter beim dortigen Staatstheater. Nach eigenen Angaben übt der Berufsmusiker maximal drei Stunden täglich und nur an zwei Tagen pro Woche unter Berücksichtigung von Mittags- und Nachtruhe. Außerdem unterrichtet er zwei Stunden wöchentlich externe Schüler.
Wenig erbaulich fanden die Bewohner des benachbarten Reihenhauses die Beschallung und klagten vor Gericht. Sie verlangten, dass der Nachbar seine Wände so gut dämmt, dass bei ihnen nichts mehr zu hören sei, und bekamen vor dem Amtsgericht Recht. Der Musiker legte Berufung ein und bekam vom Landgericht strenge Auflagen: Demnach durfte er nur noch werktags zu bestimmten Zeiten und maximal zehn Stunden pro Woche in einem Übungsraum unter dem Dach spielen.
„Freie Persönlichkeitsentfaltung“
Dieses Urteil bewertete der BGH als zu streng: Musizieren müsse als „übliche Freizeitbeschäftigung“ in gewissen Grenzen möglich sein. „Es besteht kein Anspruch auf völlige Stille“, erklärte Christina Stresemann, Vorsitzende des fünften Zivilsenats des BGH. Häusliches Musizieren könne von „erheblicher Bedeutung für die Lebensfreude und das Gefühlsleben sein“ und diene der „freien Entfaltung der Persönlichkeit“.
Andererseits müsse auch der Nachbar seine Wohnung für Erholung und Entspannung nutzen dürfen. Beim Abwägen der sich widerstreitenden Persönlichkeitsrechte der Nachbarn sei die Sicht eines „verständigen Durchschnittsmenschen“ der Maßstab, so der BGH.
Der Kompromiss: Das Musizieren wurde zeitlich begrenzt, doch weniger rigide als das LG vorgab. Als groben Richtwert gab der BGH zwei bis drei Stunden an Werktagen sowie ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen – vorzugsweise im Dachgeschoss – und unter Einhaltung der üblichen Ruhezeiten vor. Das gilt auch für den Musikunterricht, den das Landgericht untersagt hatte, zumal der Kläger das Spiel der Schüler als besonders laut und lästig empfand.
Berufs- und Hobbymusiker gleichgestellt
Der BGH unterscheidet nicht zwischen Berufs- und Freizeitmusiker. Ein Berufsmusiker, der sein Instrument im häuslichen Bereich spielt, hat die gleichen Rechte wie ein Hobbymusiker.
Der BGH betont aber auch, dass das Ausmaß der Geräusche, die Art der Musik und des Instruments sowie die Räumlichkeiten vor Ort in jedem Einzelfall berücksichtigt werden müssen. So ist z.B. eine Harfe natürlich weniger geräuschintensiv als eine Trompete.
Auch andere Gegebenheiten wie die Bausubstanz und der Schallschutz vor Ort oder eventuelle Erkrankungen des Nachbarn, die besondere Rücksichtnahme erfordern, seien ist zu prüfen. Der Kläger führte diverse psychosomatische Leiden auf die Lärmbelästigung zurück.
Die dementsprechenden Feinheiten für einen Kompromiss auszuarbeiten, obliegt nun dem Landgericht. Der Kläger will weiter dafür kämpfen, dass sein Nachbar einen Probenraum in seinem Haus dämmt, damit beide ungestört leben können, was der Beklagte aufgrund der schwierigen Bausubstanz in dem älteren Haus als zu aufwändig ablehnt.