Immobilienkredite sind so billig wie nie zuvor
Brexit-Folgen: Europas Zukunft ist ungewiss, und Kapitalanleger flüchten in sichere Anleihen. Das lässt die Zinsen auch für Baugeld tiefer sinken. Dennoch sollten Immobilienkäufer nichts überstürzen.
Für Immobilienkäufer ist der Brexit eine gute Nachricht. Vorerst jedenfalls. Aus lauter Sorge um die Zukunft der Europäischen Union flüchteten Investoren Ende vergangener Woche wieder einmal in deutsche Staatsanleihen. Die hohe Nachfrage nach Sicherheit drückte die Zinsen für zehnjährige Schuldscheine des Bundes erneut unter null.
Und wenn das Zinsniveau bei Anleihen sinkt, wirkt sich das auch aufs Baugeld aus. Seit einigen Tagen liegen die Zinsen für klassische Hypothekendarlehen wieder auf einem historischen Tiefpunkt. Das Verbraucherportal biallo.de meldet ein durchschnittliches Angebotsniveau von 1,26 Prozent für Kredite mit zehnjähriger Zinsbindung. Die Experten der FMH Finanzberatung messen sogar 1,24 Prozent.
Auch andere Indizes zeigen an: Die Verschuldung für eine Immobilie ist so billig wie noch nie. Darlehen mit fünf Jahren Laufzeit gibt es im Schnitt für 1,0 Prozent Zinsen. Schuldner mit guter Bonität und viel Eigenkapital können sich sogar zu 0,75 Prozent Zinsen Geld fürs Eigenheim leihen. Auf ein ähnliches Niveau waren Bauzinsen auch im April des vergangenen Jahres gefallen.
„Da bei deutschen Bundesanleihen und Pfandbriefen die Renditen in den vergangenen Monaten weiter zurückgegangen sind, wurde auch bei den Hypothekenzinsen ein neuer historischer Tiefstand erreicht“, stellt Marco Bargel fest, Chefvolkswirt der Deutschen Postbank. Die Flucht in deutsche Staatsanleihen am Kapitalmarkt wird den Drang privater Anleger in Immobilien also weiter befeuern.
Wie wenig die Immobilienfinanzierung kostet, zeigt ein Rechenbeispiel: Wenn ein Käufer mit guter Bonität jetzt ein Darlehen in Höhe von 300.000 Euro aufnimmt und jeden Monat 1300 Euro Zins und Tilgung bezahlt, kann er schon nach 22 Jahren schuldenfrei sein. Insgesamt würde er weniger als 30.000 Euro Zinsen zahlen. Voraussetzung für diesen idealen Zinssatz von 1,25 Prozent ist allerdings jede Menge Eigenkapital.
Angenommen, die Immobilie kostet 400.000 Euro und wird von einem Makler für die vielerorts üblichen 7,14 Prozent Provision vermittelt, ergibt sich ein interessanter Vergleich: Der Käufer würde unter diesen Voraussetzungen fast so viel Courtage für den Makler zahlen wie Zinsen an die Bank. Die Vermittlung kostet damit fast so viel wie der gesamte Kredit.
Vor wenigen Monaten hätte der Käufer noch 23 Jahre benötigt, um schuldenfrei zu sein. Und die Bank hätte über die gesamte Laufzeit hinweg rund 10.000 Euro mehr Zinsen erhalten. Beide Rechnungen setzen allerdings voraus, dass sich das Zinsniveau während der Darlehenslaufzeit nicht ändert und auch nach Ende der Zinsbindungsfrist, also im Jahr 2026, keine höheren Zinsen gezahlt werden müssen.
Keine höheren Zinsen in Sicht
Vorerst müssen Häuslebauer und Wohnungskäufer allerdings nicht mit einer Trendwende rechnen, meint Postbank-Chefvolkswirt Bargel: „Mit substanziell höheren Renditen ist in den kommenden Monaten noch nicht zu rechnen. Der Brexit könnte die konjunkturelle Entwicklung im Euro-Raum dämpfen, gleichzeitig bleibt die Inflation noch niedrig. Beides spricht gegen einen Renditeanstieg. Dementsprechend werden auch die Hypothekenzinsen in den kommenden Monaten nahe an einem historischen Tiefpunkt verharren.“ So sieht es auch Mirjam Mohr, Vorstand des Privatkundengeschäfts bei Interhyp: „Baldige Zinsanstiege sind unwahrscheinlicher geworden.“
Immobilienkäufer haben also keinen Grund für übermäßige Eile. Erst gegen Jahresende ist Marco Bargel zufolge mit spürbar höheren Zinsen zu rechnen, „da die Inflation dann vor dem Hintergrund der Preiswende bei Rohöl anziehen sollte.“ Der Ölpreis ist allerdings nicht alles, worauf Kaufinteressenten achten sollten, wenn sie die künftige Zinsentwicklung abschätzen wollen. Denn viele Experten sehen angesichts der wirtschaftlichen Schwäche in Europa keine Trendwende bei der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank. Der Leitzins hat zwar keine direkten Auswirkungen auf den Bauzins, sorgt aber insgesamt für niedrige Refinanzierungskonditionen der Banken, die zumindest teilweise an die Kunden weitergegeben werden.
Manche erwarten sogar noch weiter sinkende Bauzinsen, so etwa Max Herbst, Chef der Finanzberatung FMH. „Unsicherheit auf dem Markt bedeutet Suche nach Sicherheit. Die Geldanlage in Deutschland wird zunehmen und die Zinsen dadurch nochmals auf breiter Front nachgeben“, sagt er und wagt eine Prognose: „Erst einmal führt der Brexit zu weiteren Zinssenkungen.“ Auch die Konkurrenz zwischen den Baugeldanbietern nimmt zu, wie der FMH-Chef beobachtet: „Da immer mehr Bauherrn langfristige Zinsbindung wünschen, ist hier noch ein größerer Senkungsspielraum vorhanden.“
„Keine feste Untergrenze für Hypothekenzinsen“
Doch wie weit können die Baugeldzinsen überhaupt noch sinken? Können es sich die Banken leisten, Kredite zu vergeben, die billiger sind als 0,75 oder sogar 0,5 Prozent? Auf eine Zahl möchte sich Postbank-Experte Bargel nicht festlegen: „Eine feste, absolute Untergrenze für Hypothekenzinsen gibt es nicht.“
Die Höhe der Darlehenszinsen orientiere sich an den Refinanzierungskosten der Banken. „Die Zinssätze für Bankeinlangen und die Kapitalmarktrenditen und damit auch die Hypothekenzinsen können aber nicht ins Bodenlose fallen“, so Bargel. „Es gibt ökonomische und teilweise auch rechtliche Grenzen, die aber nicht genau definiert werden können.“
FMH-Experte Herbst dagegen kennt die unterste Schmerzgrenze der Banken: „Eine Untergrenze sehe ich bei 0,6 Prozent. Dieser Betrag muss verlangt werden für Marge, Ausfallrisiko und Verwaltungskosten.“ Nimmt man die aktuellen Zinsen für Fünf-Jahres-Darlehen, sind Deutschlands Banken gar nicht mehr weit davon entfernt.
Eigenkapitalquoten steigen
Bei derart niedrigen Finanzierungskosten drängt sich regelmäßig der Gedanke an eine gefährliche Immobilienpreisblase auf, die von der Politik des billigen Geldes immer weiter aufgeblasen wird. Tatsächlich steigen die Preise insbesondere für Eigentumswohnungen in den Großstädten und generell für Neubauten immer weiter an. Doch bei der Finanzierung sind die Deutschen weiterhin vorsichtig.
Beim Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp) beobachtete man im vergangenen Jahr zweierlei: Bei klassischen Einfamilienhäusern stieg der Anteil des eingesetzten Fremdkapitals zwar von 74 auf 77 Prozent. Beim Erwerb von Eigentumswohnungen dagegen wurden die Käufer sogar vorsichtiger und brachten mehr Eigenkapital mit als früher: Von 80 auf 76 Prozent sank hier der Fremdkapitalanteil – und das, obwohl die Preise für Wohnungen stärker stiegen als für Häuser.
„Wir beobachten keine gestiegene Risikoneigung beim Erwerb von Wohneigentum in Deutschland in den vergangenen Monaten“, so vdp-Sprecherin Helga Bender. „Banken und Verbraucher finanzieren Immobilien nach wie vor sehr konservativ. Im Durchschnitt bringen Wohnimmobilienerwerber 24 Prozent Eigenkapital mit und wählen eine Anfangstilgung von drei Prozent.“ Vor vier Jahren lag dieser Wert noch bei 2,3 Prozent.
Quelle: Die Welt