Wenn der Umzug eine Härte darstellt
Hohes Alter kann vor Kündigung schützen. Das Berliner Landgericht hat in einem aktuellen Urteil die Rechte von betagten Mietern gestärkt. Demnach können Senioren allein unter Berufung auf ihr hohes Lebensalter eine Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen. Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde nicht zugelassen.
Macht der Vermieter Eigenbedarf geltend, trifft das jeden Mieter hart, auch wenn die Gründe wie vom Gesetz gefordert „vernünftig und nachvollziehbar“ sind. Besonders bitter ist die Kündigung für alte Menschen, die schon lange – wenn nicht gar lebenslang – in der Wohnung gelebt haben.
Das aktuelle Urteil des Berliner Landgerichts hat nun gezeigt, dass betagte Mieter den Auszug selbst bei einer einwandfreien Kündigung noch abwenden können, wenn die Kündigung gemäß der Sozialklausel des Mietrechts (§ 574 BGB) eine Härte bedeutet.
(Typische Fälle von Härte sind allgemein: hohes Alter des Mieters, lange Dauer des Mietverhältnisses, schwere Erkrankung, Behinderung und Schwangerschaft.)
Im vorliegenden Fall hatte die Vermieterin im Jahr 2015 den mittlerweile 87- und 84-jährigen Beklagten die von ihnen bewohnte Wohnung wegen Eigenbedarfs gekündigt, die diese seit 18 Jahren bewohnten.
Im Oktober 2018 wies das Amtsgericht Berlin Mitte die Räumungsklage der Vermieterin ab und gab den Mietern Recht, die der Kündigung unter Verweis auf ihr hohes Alter, ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand, ihre langjährige Verwurzelung am Ort und ihre beschränkten finanziellen Mittel widersprochen hatten (AZ 20 C 221/16).
Achtungsanspruch alter Menschen
Die Klägerin legte Berufung ein, doch auch dieses Mal hatte sie keinen Erfolg: In dem am 12. März 2019 verkündeten Urteil entschied das Landgericht Berlin, dass Mieter vom Vermieter allein unter Berufung auf ihr hohes Lebensalter die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen können. Gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB hätten die Beklagten einen Anspruch auf eine zeitlich unbestimmte Fortsetzung des Mietverhältnisses. Außerdem verwiesen die Richter auf den durch Art. 1 Abs. 1 GG, der die Menschenwürde in den Mittelpunkt des grundgesetzlichen Wertesystems stellt, auf den garantierten Wert- und Achtungsanspruch alter Menschen.
„Ein Umzug ist nicht zumutbar“
Ob die gesundheitlichen Beeinträchtigungen tatsächlich so erheblich waren, wie vom Amtsgericht angenommen, spielte für das Urteil des Landgerichts keine Rolle. Vielmehr stelle der Verlust der Wohnung unabhängig von gesundheitlichen und sonstigen Folgen für betagte Mieter eine Härte dar, erklärten die Richter. Ein Umzug sei den Mietern nicht zuzumuten. Dabei wurde allerdings nicht genau definiert, welches Alter vor Kündigung schützt.
Die Interessen des Vermieters wurden vom Landgericht als nachrangig beurteilt, zumal die Vermieterin nicht beabsichtigte, die Wohnung ganzjährig zu nutzen. Stattdessen sei es um „bloßen Komfortzuwachs und die Vermeidung unerheblicher wirtschaftlicher Nachteile“ gegangen.
„Berechtigtes Interesse“ reicht nicht
Eine Interessenabwägung zugunsten des Vermieters komme laut Gericht grundsätzlich nur in Betracht, wenn der Vermieter besonders gewichtige persönliche oder wirtschaftliche Nachteile durch den Fortbestand des Mietverhältnisses geltend machen könne. Die Vermieterin hätte also nachweisen müssen, dass die Beendigung des Mietverhältnisses zwingend notwendig war. Ein gewöhnliches „berechtigtes Interesse“ reicht nicht aus, zumal die Kündigung nicht auf einer Pflichtverletzung des Mieters beruhte.
„Neue sozialpolitische Maßstäbe“
„Das Urteil setzt sozialpolitisch neue Maßstäbe“, so Ülker Radziwill und Iris Spranger, senioren- und mietenpolitische Sprecherinnen der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus. „Es schafft aber für andere Betroffene keine allgemeinverbindliche Rechtssicherheit“, heißt es in einer Pressemitteilung. Zudem forderten die Politikerinnen, dass der Kündigungsschutz ein konkretes Alter festlegt und eine Mietdauer benennt, ab der nicht mehr gekündigt werden darf.
Quellen: berlin.de/gerichte, Landgericht Berlin, mietrecht-reform.de, rbb24.de, haufe.de, stuttgarterzeitung. de, zeit.de, aerzteblatt.de